Das historische Andreasstift


Die Anfänge

Die Klerikergemeinschaft St. Andreas, deren Verfassung und Ursprünge sich nicht genau verfolgen lassen, befand sich zunächst auf einem Berg westlich des Doms außerhalb der Stadtmauer, etwa dort, wo heute der Energieversorger EWR angesiedelt ist. Von diesem Komplex stammt ein korinthisierendes Blattkapitell aus dem 10. Jahrhundert in der Sammlung des Museums, das wohl Teil einer Säule in der damaligen Andreaskirche war. Der Ort war auch eine bischöfliche Grabstätte: Dort wurde der um 825 verstorbene Bischof Bernharius und eventuell auch sein Nachfolger Folcwich (+830/833) zur letzten Ruhe gebettet.

Kapitell aus der ursprünglichen Andreaskirche außerhalb der Stadt (Foto: Museum der Stadt Worms im Andreasstift/ V. Loga) 
Kapitell aus der ursprünglichen Andreaskirche außerhalb der Stadt
(Foto: Museum der Stadt Worms im Andreasstift/ V. Loga)
 

Der Neubau unter Bischof Burchard

Der einflussreiche Bischof Burchard, der auch den Dom bauen ließ, verlegte die Stiftskanoniker um 1020 in das neu gebaute Andreasstift an den heutigen Standort am südwestlichen Rand der Stadt und innerhalb der zur selben Zeit erneuerten Stadtmauer, mit der das Gebäude bis heute baulich verbunden ist. Deren Christoffelturm wurde vermutlich vom Propst, dem Vorsteher des Stifts, genutzt. Bei der Errichtung des Stifts wurden auch römische Steine verbaut, die man den vorhandenen Resten römischer Häuser der näheren Umgebung entnahm. Von dieser Bauphase ist heute jedoch vermutlich nichts mehr oberirdisch zu sehen. Die alte Kirche auf dem St. Andreasberg hingegen ist im 12. Jahrhundert als Pfarrkirche gesichert. Ab 1243 befand sich dort auch das Frauenkloster der Reuerinnen der heiligen Maria Magdalena, das bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches an der Wende zum 19. Jahrhundert existierte.

Das Andreasstift war unter Burchard eins von mehreren Stiften von Worms, zu denen neben dem Domstift auch noch das Paulus- und das Martinsstift gehörten. Durch die weltlichen Kleriker der Stifte, die sogenannten Stiftsherren, die im Gegensatz zu Klöstern nicht nach einer festen Ordensregel lebten, ließ der Bischof den Besitz des Bistums verwalten und seine Einkünfte mehren. Als zugehörige Pfarrkirche diente die Magnuskirche in unmittelbarer Nähe, die wohl bis in das 8. Jahrhundert zurückgeht, auch wenn sie erst ab 1141 urkundlich belegt ist. Der von einer Mauer umgebene Friedhof befand sich an der Stelle des heutigen Weckerlingplatzes, im Bereich zwischen Andreasstift und Magnuskirche. Doch auch im Kreuzgang der Kirche bestattete man Tote: bei den Arbeiten an den neu errichteten Kreuzgangflügeln Ende der 2010er Jahre wurden einige nach Osten ausgerichtete Gräber gefunden. Hier wird es sich um Angehörige des Stifts gehandelt haben.

Hohes Mittelalter

Die ersten gesicherten bischöflichen Urkunden, die das Andreasstift betreffen, stammen aus dem 12. Jahrhundert. Insbesondere Bischof Buggo versuchte in der ersten Hälfte des Jahrhunderts durch mehrere Urkunden, eine möglichst gute materielle Basis des Stifts zu schaffen, das nach dem Tod Burchards offenbar zunächst vernachlässigt gewesen war. Das Stift profitierte in der Folge von bischöflichen Zuwendungen und einem weit in und um Worms verteilten Grundbesitz, der einen Schwerpunkt in der südlichen Stadthälfte hatte und zu dem Grundstücke, Höfe, Kapellen, Weinberge und Mühlen gehörten. Daneben erhielt es auch zahlreiche Schenkungen der Wormser Bürger, die so neben ihrem sozialen Ansehen auch ihr Seelenheil sichern wollten. Mit seinem Propst Wortwin, der kaiserlicher Pronotar und eine der wichtigsten Personen unter Kaiser Friedrich I. Barbarossa war, und einigen weiteren Pröpsten, die nach ihm in der Kanzlei des Reiches saßen, ist das Andreasstift auch eng mit der Geschichte des Reiches verbunden. Wortwin war 1176/77 maßgeblich an den Friedensverhandlungen Barbarossas mit Papst Alexander III. beteiligt, nachdem Kaiser und Papst gegenseitig ihre Legitimität infrage gestellt und sich deshalb bekämpft hatten. Wortwin regelte auch die Verteilung des bis dahin gemeinschaftlichen Stiftsvermögens auf die einzelnen Kanoniker von St. Andreas.

Ende des 12. Jahrhunderts wurden Kirche und Kreuzgang größtenteils neu gebaut, nachdem Bischof Konrad II. der beklagenswerte Zustand des Stifts aufgefallen war, wie er selbst in einer Urkunde von 1180 schreibt, in der er die Finanzierung dieser Maßnahmen regelt. Auf diese spätromanische Umbauphase geht die heutige Gestalt der Andreaskirche im Wesentlichen zurück. Viele der heute vorhandenen Architekturelemente haben große Ähnlichkeit zur Wormser Synagoge und deren Mikwe sowie zum Westchor des Doms, die beide ebenfalls aus dieser Zeit stammen. Die gotischen Gewölbe im Westen, die Seitenfenster und das große Fenster im Chor stammen dagegen aus späteren Bauphasen. Letzteres hat stilistische Parallelen zur zeitgleich an den Dom angebauten Nikolauskapelle.

Spätes Mittelalter

Wie in anderen Stiften auch gehörten dem Andreasstift im Laufe des Mittelalters in zunehmendem Maße nur noch adelige Stiftsherren an, die immer weniger selbst im Stift wohnten (und oft auch zu mehreren Stiften gehörten, von denen sie Einkünfte bezogen). Daher nahmen ihre geistlichen Tätigkeiten zunehmend Vikare aus niedrigeren sozialen Schichten wahr, die als ihre Stellvertreter (lat. ‚vicarii‘) fungierten.

Im Herbst 1499 zog der gesamte Stiftsklerus von Worms demonstrativ aus der Stadt, wobei man viele Gegenstände mit liturgischer Bedeutung mitnahm. Dadurch wollte man die Stadtgemeinde, mit der man sich bereits seit langem im Konflikt befand, unter Druck zu setzen. Der konkrete Anlass ist jedoch nicht überliefert. Während die Angehörigen der übrigen Stifte nun an verschiedenen anderen Orten residierten, zogen die des Andreasstifts mit denen des Domstifts nach Ladenburg, damals Nebenresidenz der Wormser Bischöfe, was seine besonders enge Verbindung zu Bischof und Domstift zeigt. Erst 1509 kehrte der Klerus zurück, durch sein freiwilliges Exil hatte sich jedoch die Kluft zwischen ihm und der Bürgergemeinde erweitert, sodass der Nährboden für die Ankunft der Reformation in Worms geschaffen war.

Reformationszeit

Bereits vor dem Auftritt Luthers auf dem Wormser Reichstag 1521 wurde in der Magnuskirche im Sinne des Reformators gepredigt, die damit als älteste evangelische Kirche Südwestdeutschlands gilt. Deren Pfarrer, Ulrich Preu, genannt Schlaginhauffen, war ein glühender Verfechter von Luthers Ideen. In der Folge stritten sich jahrzehntelang der lutherisch geprägte Stadtrat und das katholische Andreasstift um das Eigentumsrecht über die Kirche und diese wechselte mehrfach zwischen beiden den Besitzer. Auch im Stift selbst fanden die neuen Ideen der Reformation Anklang, beispielsweise beim Stiftskantor Nikolaus Maurus (1483–1539), der Luther sogar 1523 in Wittenberg besuchte und von diesem einen Brief an die Wormser Gemeinde erhielt. In der Folge kam es deshalb immer wieder zu internen Konfessionskonflikten zwischen lutherisch eingestellten Mitgliedern und der katholisch gebliebenen Mehrheit. Das Andreasstift strengte gegen seine „abtrünnigen“ Mitglieder auch Prozesse um Rückgabe ihrer Pfründen, also ihrer durch ihre Stiftsmitgliedschaft erhaltenen Einkommensquellen, bei der Stadt an.

1612 wurde der Südflügel des Kreuzgangs neu errichtet, in der damals eigentlich bereits „veralteten“ gotischen Bauweise, die aber insbesondere in Worms zu dieser Zeit noch in einigen Fällen angewandt wurde. Als im Dreißigjährigen Krieg die Schweden 1631 Worms einnahmen, waren die Bewohner des Stifts wie auch fast der gesamte katholische Klerus schon aus der Stadt geflohen.

Darstellung des Andreasstifts (links im Bild) in Sebastian Münsters Cosmographia 1550. Quelle: Stadtarchiv Worms, Signatur: 1480  
Darstellung des Andreasstifts (links im Bild) in Sebastian Münsters Cosmographia 1550.
Quelle: Stadtarchiv Worms, Signatur: 1480

Zerstörung 1689 und Wiederaufbau

Das Andreasstift wurde wie der Großteil von Worms 1689 im Pfälzischen Erbfolgekrieg durch französische Truppen stark zerstört. Die Dächer und Teile der Gewölbe stürzten ein. Auch fast die gesamte Einrichtung der Kirche, ihre Bibliothek, Glocken, Orgeln, Holzplastiken und Altäre kamen abhanden oder wurden zerstört. Der angrenzende zur Stadtmauer gehörende Christoffelturm wurde gesprengt, wobei auch der Kreuzgang Schäden davontrug. Danach wurde die Kirche bis 1761 wiederaufgebaut, jedoch in auf der Westseite leicht verkürzter Form. Auch die gotische Katharinen- oder Marienkapelle, die an den östlichen Kreuzgangflügel anschloss, wurde nicht wiederhergestellt und später abgerissen. Die Kirchtürme erhielten barocke zwiebelförmige Dächer, die sie bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg behielten. Die Gewölbe der Kirche wurden zunächst nur in Holz errichtet und erst im 20. Jahrhundert rekonstruiert. 1782 wurde der Südflügel des Kreuzgangs zum Kornspeicher umgerüstet, 1786 wurde der Ostflügel durch ein Lagergebäude ersetzt.

Das Andreasstift vor und nach der Zerstörung von 1689. Zeichnung von Peter und Johann Friedrich Hamann.

Peter Hamman, ohne Datum (1690), Quelle: Stadtarchiv Worms, Signatur: 1B/48, Blatt A.  
Peter Hamman, ohne Datum (1690),
Quelle: Stadtarchiv Worms, Signatur: 1B/48, Blatt A.
Peter Hamman, 1690,  Quelle: Stadtarchiv Worms, Signatur: 1B/48, Blatt I 
Peter Hamman, 1690,
Quelle: Stadtarchiv Worms, Signatur: 1B/48, Blatt I
 

Profanisierung

Als durch die Revolutionskriege das Gebiet westlich des Rheins Teil der Französischen Republik wurde, wurden 1802 auch das Bistum Worms und die dortigen Stiftsgemeinschaften aufgelöst. Zuvor waren die zu dieser Zeit bereits zahlenmäßig reduzierten Stiftskanoniker zusammen mit einem Großteil des Wormser Klerus auf die andere Rheinseite geflohen. Das Andreasstift wurde französischer Staatsbesitz und diente zunächst den Truppen der Republik als Quartier. 1811 kamen Kirche und Kreuzgang in den Besitz der Stadt und dienten fortan profanen Zwecken: Nachdem ein Versteigerungsversuch 1824 an mangelnden Abnehmern scheiterte, wurde die Kirche als Abstellplatz, unter anderem für Leichenwagen und Feuerwehrgerätschaften, sowie zur Aufbewahrung von Getreide genutzt. Der Kreuzgang diente dem Weingut Valckenberg und später den Lederwerken Dörr & Reinhart als Lager. Im Hauptschiff der Kirche zog man Trennwände und Zwischendecken ein und in die Fenster der nördlichen Langseite brach man Öffnungen für Türen. Für seine museale Nutzung wurde das Andreasstift ab 1927 wiederhergerichtet, wobei man die hölzernen Einbauten entfernte.

Die Andreaskirche mit den für ihre Nutzung als Lagerhaus eingebauten Türen.  (Foto: August Füller, um 1919; Quelle: Stadtarchiv Worms, Signatur: 5469) 
Die Andreaskirche mit den für ihre Nutzung als Lagerhaus eingebauten Türen.
(Foto: August Füller, um 1919; Quelle: Stadtarchiv Worms, Signatur: 5469)
Ansicht der Andreaskirche vor dem Umbau mit eingezogener Holzdecke. Seitlich sind die oberen Bögen zum Seitenschiff erkennbar. Zwischen 1927 und 1929. Quelle: Stadtarchiv Worms, Signatur: M 7804  
Ansicht der Andreaskirche vor dem Umbau mit eingezogener Holzdecke. Seitlich sind die oberen Bögen zum Seitenschiff erkennbar. Zwischen 1927 und 1929.
Quelle: Stadtarchiv Worms, Signatur: M 7804
Leichenwagen in der Andreaskirche, oben die eingezogene Holzdecke. Zwischen 1927 und 1929. Quelle: Stadtarchiv Worms, Signatur: M 7801  
Leichenwagen in der Andreaskirche, oben die eingezogene Holzdecke. Zwischen 1927 und 1929.
Quelle: Stadtarchiv Worms, Signatur: M 7801
 

Literatur:

  • Bönnen, Gerold (Hrsg.): Geschichte der Stadt Worms. Stuttgart 2005.
  • Bönnen, Gerold: St. Andreas – Zur Geschichte des Wormser Kollegiatstifts bis um 1250. In: Wormsgau 25 (2007), H. 1, S. 7–28.
  • Kammer, Otto: Die Frage nach dem Jus reformandi in Worms. Notwendige Klärungen in der Frühzeit der Reformation. In: Wormsgau 25 (2007), S.53–60.
  • Keddigkeit, Jürgen / De Filippo, Aquilante: Worms, St. Andreas. In: Keddigkeit, Jürgen [u.a.] (Hrsg.): Pfälzisches Klosterlexikon. Handbuch der pfälzischen Klöster, Stifte und Kommenden. Band 5. Kaiserslautern 2019 (Beiträge zur pfälzischen Geschichte 26.5), S. 662–712.
  • Keilmann, Burkard: Das Wormser St. Andreasstift im Spätmittelalter. Studien zu seiner Personalstruktur und inneren Verfassung. In: Der Wormsgau 25, 2007, S. 29–52.
  • Schork, Josef: Aus der Geschichte des Andreasstiftes in Worms. In: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde, Neue Folge 65 (2007), S. 1–29.
  • Schork, Josef: Die Stiftsangehörigen des Kollegiatstifts St. Andreas in Worms vom 11. bis zur Mitte des 16.Jahrhunderts. Personalstruktur und prosopographischer Aufriss. In: Wormsgau 25 (2007), S.117–189.

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